Der Wald von Hag Widukin lag in Stille und Dunkelheit unter einem Himmel, der nur von spärlichem Sternenlicht erhellt war. Ragin betrachtete von einer Aussichtsplattform, geschickt zwischen die Wipfel hoher Bäume eingefügt und für Beobachter von Außen nahezu unsichtbar, die Reiter, die sich unter Hengists Führung aufmachten, um Sarolf Nebelwolfs Truppen zu unterstützen.
Eine junge Kriegerin saß neben ihm auf dem Geländer und ließ die Beine über den Rand der Plattform baumeln. Sie trug nur einen einzigen Bärenzahn an einem Lederriemen um den Hals, statt einem Ledergürtel hatte sie ineinander verflochtene Schnüre aus gedrehter Baumrinde um die Hüften geschlungen. Hose und Tunika waren von Dornen zerzaust und kleine Äste und trockene Blätter hatten sich in ihrem kastanienbraunen Haar verfangen. In einer ledernen Scheide steckte ein Schwert, von dem Ragin wusste, dass es bereits seit drei Generationen im Besitz der Familie der Sippentochter war.
Horsa stieg die schwankende Strickleiter empor und trat neben Ragin. "Alles wird getan, wie du gesagt hast. Ich hoffe, das Gremfulk schließt sich uns auch an." Ragin nickte. "Es ist besser. Der Rat ist fast völlig frei von Streit. Sogar die Helskawa sind ganz handsam." Horsa schüttelte den Kopf. "Ich traue dem Pack immer noch nicht. Und kaum einer unserer Krieger tut das." "Das ist jetzt egal. Wir behalten sie im Auge. Sie scheinen sich Mühe zu geben und unterstützen die Blankarder nach Kräften. So lange sie sich nichts weiter zu Schulden kommen lassen, können wir nichts gegen sie tun - und ich habe auch keine Zeit oder Lust, mich mit dem Thema noch länger zu beschäftigen."
"Hat der Sturmhüter eigentlich etwas gesagt wegen... du weißt schon." "Nein." Ragin schüttelte den Kopf. "Er ist ein Fuchs, dieser Markward. Er hat Ahrenklinge zu seinem Berater berufen und damit ohne jeden Hader seinen schärfsten Konkurrenten ausgehebelt. Geschickt, sehr geschickt. Und wir haben damit einen Verbündeten in den Hallen der Sturmhüter gewonnen. Ekwin wird meine Unterstützung nicht vergessen. Ansonsten hüllt sich noch alles in Nebel. Es sieht so aus, als würde es diesmal nicht so schlimm werden. Nun, die Blankarder haben sich von ihren Frauen vertreten lassen und selbst die waren nur zu zweit. Ihre Guiskards und der Hagrik selbst kämpfen gegen die Orks. Einerseits bedauerlich, andererseits aber gut, denn wenn sie ihre Probleme und Zwistigkeiten lösen, statt im Rat ihre Zeit zu verschwenden, dann werden sie bald ihre Leute dazu gebracht haben, ihre Waffen gegen die Orks zu richten. Die Nantwiga kämpfen im Süden gegen Wendools, was ungewöhnlich ist, aber nicht weiter bedrohlich zu sein scheint. Ich würde fast sagen, es ist alles unter Kontrolle. Wir sollten nicht voreilig sein, aber es sieht gut aus. Keita hat die Orks geradezu zerfetzt. Ich muss gestehen: Ich bin beeindruckt. Sie macht nicht immer den Eindruck, aber sie hat ein Gespür für Taktik.
Damit ist unsere eigene Ostflanke frei, die Blankarder und Helskawa drängen die Orks in ihrem Gebiet zurück und die Halvor scheinen auch zurecht zu kommen. Sie haben ein paar Leute gegen die Wendools verloren, aber nichts, was ihr Klan nicht verkraften könnte und Gerwins Leute haben eine Gute Ernte eingefahren. Es war ein ereignisloser Thing, aber das kann etwas Gutes sein."
Das Mädchen gähnte gelangweilt und schwang sich unter dem Geländer hindurch auf die Aussichtsplattform. "Ziehen wir dann nach Südandryll?" fragte sie mit leuchtenden Augen. Ragin lächelte. "Noch nicht, Kindchen. Wir sind noch nicht so weit. Wir werden erst unsere schwarz-gelben Einwanderer gebührend begrüßen und den Nantwiga gegen die Wendools im Süden helfen. Aber wenn unsere Verwandten aus den nutzlosen Kolonien zurückgekehrt sind - wogegen auch niemand am Thing etwas einzuwenden hatte - dann könnte der Tag in die Nähe rücken, wenn wir endlich den Krieg von unserer Schwelle zurückdrängen." Sie sah erst enttäuscht drein und schwang sich dann die Strickleiter herab. "Deine Tochter wird eine gute Kriegerin." stellte Ragin an Horsa gewandt fest. "Sie hat Wolfsblut in den Adern." Horsa zog eine Grimasse. "Ich weiß nicht. Wenn sie erstmal ihren ersten Mann erschlagen hat, wird sie nicht mehr mein kleines Mädchen sein. Das ist nicht leicht für einen Vater." Ragin nickte andächtig. "Die Zeit für harmlose Spiele geht für jeden irgendwann vorbei. Jetzt beginnt die Zeit der... gefährlichen Spiele. Wir müssen spielen und gewinnen. Es gibt kein Zurück mehr."