Aswin, der Herr von Albamark, hob sein silberverziertes Trinkhorn und nahm einen kleinen Schluck. "Du kannst nicht ganz Hag Raurik retten, Ragin. Verteidigen wir unser Land, verwenden wir, was wir zur Verfügung haben dazu. Sieh: Seit
Einars Hilfegesuch ziehen unsere Jungspunde nördlich von Hag Blankard umher und beschäftigen die Orks dort und nun fallen die Schlammfresser in unser Gebiet ein. Und nun greifen uns noch Banditen aus dem Norden an."
Ragin schwieg für einen Moment und strich bedächtig mit dem Daumen entlang des Randes seines geschnitzten Holzbechers.
"Die Banditen greifen auch Hag Blankard an." Sagte er schließlich. Und die Orks kümmern sich nicht um die Grenzen unserer Sippengebiete. Aber du hast recht. Ich habe den Blankardern die Orks vom Hals gehalten, damit Einar seine Truppen ausheben kann und nun gehen sich diese Truppen gegenseitig an die Gurgel. Ich habe aber schon Boten ausgeschickt, sie sollen unsere Freiwilligen im Norden Hag Blankards zusammensuchen und in Richtung Hag Grimmzahn ziehen. Dort werden sie den Orks in den Rücken fallen und dafür sorgen, dass keiner sich in die Berge zurückzieht, sobald Keita sie in der Schlacht stellt.
Wir werden einen Fluchtweg nach Osten offen lassen. Wenn die Orks sich wieder in Hag Blankard zeigen, können die Schaff... hirten ihre überschüssige Kraft an denen auslassen und brauchen sich nicht mehr die eigenen Köpfe einzubeulen."
Aswin zuckte mit den Schultern. "Und du glaubst, dass Keita die Orks zu den Blankardern entkommen lässt?" Sein Ton machte deutlich, was er von diesem Gedanken hielt. "Nicht wirklich." gab Ragin seufzend zu. "Aber keiner meiner Schlachtpläne hat je den Erstkontakt mit dem hitzigen Gemüt einer Grimmzahn-Guiskarda überlebt und du weißt, wie sehr ich alte Traditionen liebe." Aswin lachte und auch auf Ragins Gesicht stahl sich ein Lächeln.
"Und trotzdem", fügte er hinzu und breitete die Arme aus, "sind wir noch hier!" Er nahm einen Schluck aus seinem Becher. "Und für die Sachsen habe ich mir auch schon etwas ausgedacht. Wenn Sarolf meinem Plan folgt, werden wir da eine Menge Spaß haben."
Aswin warf die Stirn in Falten. "Du willst, dass die Nebelwölfe sie ins Inland locken, schickst ihnen unsere Truppen in den Rücken, damit Ihnen der Fluchtweg abgeschnitten wird und zerquetschst sie zwischen Grünfängen und Nebelwölfen." Ragin sah enttäuscht aus. "Ja." knurrte er dann einsilbig. "Ich weiß, wie sehr du alte Traditionen liebst." meinte Aswin fröhlich. "Aber es gibt noch mehr!" entgegnete Ragin, wie zur Verteidigung. Aswin angelte sich einige Waldbeeren aus einer Holzschüssel. "Ich höre?"
Ragin stand auf und ging zu der Pferdehaut, die zwischen zwei Pfosten seitlich neben dem Tisch aufgespannt war. Auf der roh gegerbten Haut waren die Umrisse Hag Rauriks aufgezeichnet, dazwischen Linien, die die Sippen- und Klansgebiete voneinander trennten.
"Dreißig Reiter" rief er und deutete vage in Richtung des Teils der Karte, der den Norden des Sippengebiets der Nebelwölfe markierte, "fallen nicht einfach vom Himmel. Zumindest ist mir nicht bekannt, dass sie auf geflügelten Rössern reiten. Und ich denke, du hättest es mitbekommen, wenn sie aus dem Sternensee gekrochen wären." Aswin nickte und Ragin fuhr fort: "Also sind sie entweder aus dem Nebelmeer gestiegen - unwahrscheinlich. Oder aus Eilean Úr rüber geschwappt. Auch nicht besonders wahrscheinlich, zumindest habe ich nichts von dort gehört, was darauf schließen lässt, dass die Probleme mit den Germanen hätten.
Kurz: Ich will wissen, wo die Burschen herkommen. Sie brauchen ein Lager, vermutlich sogar einen Versorgungstross. Während die Nebelwölfe sie weiter nach Süden locken, werden meine Fährtenleser herausfinden, wo sie hergekommen sind.
Ich werde einen Boten nach Eilean Úr schicken, die sollen aufpassen, das nichts über ihre Grenze rutscht. Wir suchen und finden das Lager der Sachsen, plündern es und dann werden wir die Reiter einkesseln: Sarolfs Truppen, so er meinem Plan zustimmt, von Süden und Westen, die zurückkehrenden Späher von Norden und deine Markgarda von Osten." Ragins Hände beschrieben die Truppenbewegungen auf der Karte. Dann drehte er sich wieder dem Tisch zu.
"Ich will die Sachsen lebend, Aswin, wenigstens ihren Anführer. Und natürlich so viele ihrer Pferde, wie wir fangen können, die sind auf jeden Fall zu wertvoll, um sie uns entgehen zu lassen." Er lehnte sich vor und stützte sich, die Hände zu Fäusten geballt, auf die Tischplatte. "Und dann möchte ich mit dem Anführer der Sachsenräuber ein lange und ausführliches Gespräch führen."
Aswin leckte sich den Saft der Waldbeeren von den Fingern und wischte die Hand an seinem Hosenbein trocken. "Kein schlechter Plan, er hat nur zwei, vielleicht sogar drei Schwächen. Erstsens baust du darauf, dass ich und Sarolf Nebelwolf mitspielen. Zweitens glaubst du, dass sich die Sachsen gefangen nehmen lassen, statt bis zum bitteren Ende zu kämpfen. Und schließlich glaubst du, dass mit ihrem Anführer zu sprechen ist." Ragin zuckte mit den Schultern. "Du willst deine Truppen nicht zur Verfügung stellen?" Aswin winkte ab. "Natürlich kannst du auf mich zählen. Ich werde weder dich noch Sarolf im Stich lassen." "Und glaubst du, Sarolf wird nicht mitspielen?" "Das ist schon schwieriger. Die Sachsen werden die Felder zertrampeln und die Dörfer niederbrennen auf ihrem Weg nach Süden." Ragin setzte sich wieder. "Vielleicht, vielleicht auch nicht, aber die Informationen, die wir gewinnen können, werden uns allen mehr nutzen und wenn wir Erfolg haben, bekommt er dreißig Pferde für seine Ställe. Er ist klug genug, um zu erkennen, was wir gewinnen können." Aswin nickte zustimmend. "Gut, bleibt noch die Unberechenbarkeit der Sachsen." "Die Sachsen sind nicht so anders als wir. Sie sind keine Orks. Sie sind auch keine Kelten, aber immerhin verständig genug. Sie werden ihr Leben nicht wegwerfen, wenn sie sich von einer überlegenen Streitmacht umzingelt sehen. Nicht, wenn sie nicht ihre Heimat und ihre Familien verteidigen und das tun sie hier nicht. Sie haben eine Sprache, die aus mehr als Grunzlauten besteht und sie beten zu Göttern, die ich respektieren kann. Wir kämpfen gegen sie, wir töten sie auch, wenn nötig, aber wir dürfen sie nicht mit den Schlammgesichtern oder den Wendools verwechseln. Oder den Lakaien der Arach Fey. " "Gut, Ragin, ich stimme deinem Plan zu, wenn du Sarolf überzeugen kannst."
Ragin lehnte sich zurück. "Du bekommst für die Markgarda übrigens neue Speere aus Eisenholz. Und die Vargarda statte ich mit neuen Bögen aus." "Großzügig!" entgegnete Aswin anerkennend. "Und es gibt noch ein paar... Bekundungen meiner Wertschätzung an einige ausgewählte Leute." Ragin lächelte. "Komm." Er stand auf und Aswin folgte ihm aus der Halle.
Im großen Hof von Albamark stand ein Fuhrwerk und darüber eine Plane aus gewachstem Leinen. Auf Ragins Zeichen eilten zwei Krieger hervor und zogen sie von dem Wagen herunter. "Schilde." sprach Aswin das offensichtliche aus.
Ragin nickte und griff nach einem der Schilde. Er war auf traditionelle keltische Art bemalt. Die verwirrenden Linien bildeten Spiralen und Knoten, die sich auf wundersame Weise zu einem Bild zusammenfügten: Eine Wolfspfote. Die scharfen spitzen bildete jeweils ein Dreiecksknoten, jede Zehe eine umrandete Triskele, die Pfote eine verschlungene Baumkrone.
"Dies ist deiner, Aswin." Verkündete er stolz. Aswin betrachtete den Schild ehrfurchtsvoll.
Dann besah er sich die anderen Schilde, die dort sorgfältig aufgereiht standen. Die meisten Motive zeigten Wölfe, offenbar für Ragins Offiziere und die Guiskards der Widukin gedacht. Dann fiel sein Blick auf einen Schild, der aus der Menge hervor stach. Ein Adler, der auf eine Krähe herab stieß. Er wandte einen fragenden Blick zu Ragin. Wieder stahl sich ein seltsam bedrohliches Lächeln auf die Lippen des Hagriks der Widukin. "Für
Ekwin Ahrenklinge." Aswin sah ihn erst verständnislos an, dann stieß er einen gotteslästerlichen Fluch aus. "Ist dir was auf den Kopf gefallen? Warum, bei Borgrimms fauligem Atem, willst du Ekwin Ahrenklinge so ein wertvolles Geschenk machen? Alle werden meinen, dass du ihn bei seiner Rebellion gegen Markward Sturmhüter unterstützt!"
Ragin lächelte noch breiter. "Ist das so? Na, was alle anderen Denken werden, ist denen überlassen." "Markward wird das als Verrat empfinden!" rief Aswin entsetzt. "Und?" Ragins Stimme war bitter. "Wie soll ich es verstehen, wenn er sich als Leittier dieser rückgratlosen Bande von den Helskava wie ein Tanzbär an der Nase durch die Arena führen lässt, zu der diese Kerle unsere Ratshalle degradiert haben? Ich kenne Ekwin, er ist ein tapferer Mann, der sich seinen Beinahmen, Aarenklinge, auf dem Schlachtfeld verdient hat. Er hat vielleicht ein Gesicht, als wäre er ein paar mal zu oft zwischen Ambos und Schmiedehammer geraten, aber er ist nicht dumm und in dieser Sache hat er recht!"
"Er entzweit die Sippe der Sturmhüter! Das kannst du nicht gut heißen!" Ragin atmete tief ein, hielt inne und ließ die Luft wieder entweichen. Dann antwortete er ruhig. "Nein. Die Helskava und die Kurzsichtigkeit derjenigen Guiskards, die nicht mehr darauf hören, was unser Volk will, entzweien die Clans. Man kann einem Mann nicht einfach einen Fremden vor die Nase stellen und sagen: 'Dies ist fortan dein Bruder!' Die Helskava wollten die Trauben ernten, ehe sie reif waren, Markward hat den Kelch entgegen genommen und nun muss er den bitteren Wein schlucken."
Aswin setzte noch einmal an: "Ragin! Du mischst dich in eine Sache ein, die dich nichts angeht, das ist eine Angelegenheit der Halvor!" "Du hast Recht. Ich mache daraus eine Sache der Rauriker, aller Rauriker. Das ist nur eine symbolische Handlung. Markward wird so oder so Guiskard bleiben. Sein Sieg wird nur nicht so überwältigend sein, einen schalen Beigeschmack haben. Vielleicht öffnet ihm das die Augen. Ich bete dafür. Wenn es sein muss, bete ich sogar zu Nantuswelta."
"Du kannst den Beschluss des Rates nicht rückgängig machen!" Aswin breitete die Arme aus. "Die Helskava sind Teil der Rauriker geworden!" "Nein. Sie sind Teil des Rates geworden, das ist ein Unterschied. Rauriker sind sie erst, wenn die Rauriker sie als Brüder ansehen. Wir sind keine politische Allianz, wir sind eine Familie, ein Stamm. Wir schätzen und vertrauen uns und das muss wachsen. Eine Erpressung ist ein verdammt schlechter Anfang, wenn man Teil einer Familie werden will. Und ich werde jeden Rauriker unterstützen, der sich dieser Bevormundung durch die Guiskards widersetzt."