Einige Tage nach dem Winterthing saß Grimmar neben dem prasselnden Feuer einer Taverne im Sippengebiet der Orkentrutzer, denn er war auf der Heimreise. Sein Gunrik Raskell hatte ihm zwei Wochen Zeit gegeben um das Gehöft seines Vaters und seiner Brüder zu besuchen, das bis vor einem Jahr noch sein einziges Zuhause war. Der Falkensteyner Lexalus hatte dem jungen Krieger von dort Grüße und Nachricht überbracht und Grimmars Herz wurde schwer, weshalb er beschloss schnellst möglich wieder einmal heim zu kommen.
Er sah auf seinen leeren Teller, auf dem immer noch einige Scheiben kalten Schafsbratens übrig waren und wehmütig dachte Grimmar an die Speisen, die Paigi zubereitete. Was würde er nur jetzt für eine Kelle ihrer wunderbaren Eintöpfe geben. Mit einem Krug des kräftigen Mets versuchte er den Geschmack hinunter zu spülen. Doch was er am Nachbartisch hörte, hatte schon lange seine Aufmerksamkeit vom Geschmack der komischen blankarder Speise abgelengt – den Göttern sei dank.
An den langen Bänken des Nachbartischs saßen viele Männer verschiedener Kleidung. Grimmar zählte fünf Rauriker – eine Gruppe Halvor und ein Blankarder den Farben nach – und zwei andere Kelten, vielleicht aus Thalisien oder Eilean Úr. Auch, wie böse Zungen immer wieder sagen, zivilisiert gekleidete Männer saßen dort, wohl Händler aus dem Norden. Grimmar beeindruckte jedoch nicht die Herkunft, sondern eher, dass sie seitdem er eingetreten war eine Geschichte nach der anderen zum Besten gaben. Grimmar stand plötzlich auf, beseelt davon auch etwas zu diesem Reigen beizutragen – denn nur Übung macht den Skalden. Nachdem er sein Begehr geäußert hatte prosteten die Anwesendem ihm zu und machtem ihm Platz, gespannt, was sie zu hören bekommen würden.
Grimmar atmete also tief durch, räusperte sich und hob seine Stimme:
„Vor gar nicht all zu langer Zeit, gerade als sich das Imbolc-Fest anschickte, trug sich das Folgende zu im Swajut Raskells, des Falken. Ihr habt sicher alle gemerkt, dass dieser Winter wohl kälter und dunkler in unseren Landen ist, als all die Jahre zuvor. Dunkle Wesen aus Frost und Eis schleifen sich in den Nächten durch die Wälder, schweigend und ohne inne zu halten.
Dies hat alles auch einen guten Grund. Seit jeher ist es in unseren Landen so, dass sich Belfaime, die Lichtfee, und der Vetter Borgrimms, der Frostbolt, darum bekriegen, wer über die Natur herrscht – Licht und Wärme oder Dunkelheit und Eis. Und gerade um das Imbolc-Fest herum tobt dieser Kampf am heftigsten.
So war es aber in diesem Winter, dass der Frostbolt durch eine List Belfaimes Sonnenamulett stahl und sie so in ein Gefängnis aus Eis bannte. Dunkler und kälter wurde es und die Wesen, wie Widergänger, die einst erfrohren, wurden zahlreicher.
So kam es, dass der Swajut des Falken, angeführt von einem jungen Kriegstpriester namens Ramgar, im Wald von jenen weißen, rastlosen Wanderern angegriffen wurde. Sie schlugen sie zurück, doch jede Wunde die die Wesen den tapferen Kämpfern beibrachte war wie erfrohren. Sofort wussten sie, dass sie es mit Magie zu tun hatten. Der Frostbolt hatte den Waffen seiner Kinder die Gabe des ewigen Winters geschenkt.
Und so suchte der Swajut eine Frau aus dem Dorf auf, über die man sich wundersame Dinge erzählte. Verrückt sollte sie sein, von den Göttern verlassen, sagte man. Doch die Wahrheit war, dass die Götter sie gesegnet hatte – sie gaben ihr das Element des Feuers in den Körper, so wie die Tilrun der Blankarder es besitzen. Doch davon ahnte sie noch nichts und litt schwer darunter.
Außerdem standen an der Seite Ramgars und seiner Krieger auch noch Verbündete und Freunde aus fernen Ländern – weiße Männer, mächtige Druidinnen und Heilerinnen und wahrlich mächtige Kämpfer.
So zogen diese aus, die Belfaime aus ihrem Gefängnis zu befreien. Ihre Suche begann damit, dass sie den weißesten Mann – früher selbst ein stolzer Krieger – aus dem Dorf um Rat baten. Der hieß ihnen, den altehrwürdigen Waldgeist Fjal Hainschild zu beschwören, da dieser das Wissen um die geheimsten Orte des Waldes sein Eigen nennt.
Am heiligen Ritualplatz im Wald versuchten sie ihn zu beschwören, doch ward die Gruppe von den Widergängern bedroht – zu allen Seiten kamen sie aus dem Wald. Langsam, ein Bein oder ihre Waffe hinter sich herziehend und bar Gefühl und Leben zogen diese unnatürlichen Wesen aus Frost und Kälte gegen den Swajut. Doch wurden sie vereint zurückgeschlagen, nicht zuletzt weil das Götterfeuer in der Frau namens Bruna wahre Wunder gegen die Gestalten wirkte.“ Grimmar musste bei dieser Bemerkung fast lachen, als er daran dachte, wie Bruna anfing sich mit dem ganzen Körper auf die weißen Wanderer zu stürzen, riss sich aber zusammen.
„Der alte Waldgeist, wahrlich groß und beeindruckend anzusehen, bedeckte doch Rinde seinen Körper und Moos war sein Haar, erschien dort nach ihrem Sieg. Er wies den tapferen Männern und Frauen den Weg zu einem Steinkreis, so alt, dass man munkelt er sei aus den Zeiten des Nebels selbst. Doch sei er für menschliches Auge nicht sichtbar, und nur eine Blume, ewig blühend, verrät jenen Ort.
Weiter und immer tiefer zog deshalb der Haufen furchtlos in den Wald, jenen Kreis zu finden. Doch kurz bevor sie ihn erreichen konnten versperrte ein Heer der weißen Wanderer ihren Weg. Mehr und mehr von ihnen kamen aus dem Wald geschwankt. Die Tapferen Krieger unter Ramgars Führung schmissen Welle um Welle zurück, da die Druidinnen spürten, dass sie nahe an dem Ort waren, den der Waldgeist ihnen nannte. Zwei schnelle Späher der Widukin brachen, den Tod verachtend, durch die Reihen der unwirklichen Feinde und entdeckten die Blume schließlich.“ Wieder erwischte sich Grimmar wie er bei dem Gedanken an dieses Erlebnis fast die ernste Miene verlor, die er zum Erzählen aufgesetzt hatte.
„Dort an jener Blume, einer blutroten Rose inmitten des winterlichen Weiß, lagerte der Swajut und versorgte seine Wunden. Die Hände Brunas bewahrten so manchen Streiter davor, dass ihm verwundete Gliedmaßen nicht einfach erfrohren und abfielen. Dort war es, wo die Tilrun des Swajuts und der Verbündeten die Natur, die Elemente und selbst die Götter anriefen, auf dass sie ihnen beistünden. Ein Feuerelementar erschien dort – ein Wesen ganz aus Feuer und Schwefel, das dennoch menschlich sprach. Es hieß den Swajut am kältesten Ort des Waldes, in der Frostsenke nach dem Amulett zu suchen. Dort habe es der Frostbolt in unheiliges Eis gebannt und gab Ramgar um es zu schmelzen drei magische Hölzer mit. Doch bevor die Gruppe wieder aufbrach segnete der Elemtar Bruna, auf dass sich ihre Gabe mehren und sie sie kontrollieren sollte.
Die Krieger machten sich dorthin auf und kehrten mit einem großen, in tiefem nachtblau gefrohrenen Eisblock zurück in ihr Dorf Hoimarshold. Während Ramgar seinen Gott Theutates anrief, schmolz er zusammen mit der auserwählten Bruna das Eis, wo das Sonnenamulett der Belfaime zum Vorschein kam. Doch nicht nur das – auch tauchten weiße Wanderer aus plötzlichen Nebeln auf. Ungezählt fielen sie über die Dorfbewohner her, doch der Swajut griff zu seinen Waffen, die Wesen zurückzuwerfend. Mit einem Mal gefrohr die Luft und es ward noch viel kälter als zuvor, denn der Frostbolt selbst erschien, um den Swajut für die Vereitelung seiner Pläne zu strafen. Die Kämpfer stritten wohl, doch gegen ein solches Wesen, dessen Schläge mit der Frostaxt nicht tödlich waren, das Opfer aber zu Eis erstarren ließen, war es ein aussichtsloser Kampf.
Ein weiser Mann aus Thalesien, der die Gruppe begleitete, nutze schließlich die Macht des Amuletts der Belfaime, den Grimbolt in die Flucht zu schlagen. Und mit ihm verschwanden auch seine weißen Wanderer – jene wenigen, die nicht bereits von den tapferen Kriegern gefällt wurden.
Mit Hilfe des Amuletts konnten die Tilrun die Belfaime dann schließlich befreien. Zum Dank reichte sie den Tapferen ein Stück des mächtigen Lichtsteins, aus dem auch Ihr Zepter war. Heilend und Lebensspendend gilt dieser Stein seit jeher, so wie die Lichtfee selbst.
So haben wir es also dem Swajut von Raskell, dem Falken, und unseren Brüdern und Schwestern aus Thalesien und Eilean Úr zu verdanken, die mit ihm zogen, dass der Frühling naht und mit ihm das Licht und die verehrte Belfaime. Diesen tapferen Menschen, die alle Gefahr auf sich nahmen, das Land zu befreien, ihnen soll unser aller Dank und der Götter Gunst gehören.
Und so endet denn meine Geschichte."
Grimmar verneigte sich, tief ausatmend, und blickte sich dann um. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass sich alle Gäste der Taverne um den Tisch gescharrt hatten um ihn anzuhören. Er blickte in die Gesichter. Die zwei Schankmägde hatten sich auf den Tisch gestützt und schauten ihn mit großen Augen an. Die Kelten sahen teils skeptisch teils belustigt auf ihn. Ein alter Mann, Haar und Bart bereits schlohweiß, schüttelte den Kopf und andere wiederum sahen nur gespannt drein, was wohl als nächstes passieren mag. Er sah viele Gefühlsregungen, bis der Blankarder am Tisch die ehrfürchtige Stille wie einen Zauber brach.
„Eine Geschichte wollten wir hören, Bursche, eine Geschichte. Und kein Märchen!“ Einige stimmten lachend mit ein, andere zogen sich an ihre Tische zurück.
„Ein Swajut, der die Belfaime befreit hat um uns den Frühling zu schenken? Wer soll dir denn das glauben, du Möchtegern-Skalde!“ Der Blankarder zeigte Grimmar den Vogel und leerte seinen Krug.
„Heldengeschichten zu meiner Zeit wahren noch glaubhaft Junge, ähm, ich meine wahr. Ja – wahr waren sie damals“ brummelte der Alte und stand ebenfalls schwerfällig auf.
Trotz der niederwerfenden Kommentare schmiss man Grimmar das ein oder andere Kupferstück hin und der Tisch leerte sich. Nur eine Gestalt blieb in seiner Nähe dort sitzen. Schwarz gewandet und eine Kapuze tief in das Gesicht gezogen. Der Fremde trug seine Kleidung so schwarz wie die Nacht und um seinen Hals hing eine Kette mit drei Krähenfedern.
Als er zu sprechen begann riss es Grimmar aus seinem Missmut über das eben gehörte.
„Ich weiß, dass du die Wahrheit sprachst, Freund.“ Der Mann erhob sich langsam und ohne Hast und Grimmar versuchte sein Gesicht zu sehen, spähte jedoch nur in tiefe Dunkelheit.
„Wenn man Menschen rettet bekommen sie es nicht mit und wenn man es ihnen dann erzählt, dann wollen sie es nicht hören. So ist eben der Weltenlauf.“ Der Fremde seufzte wehmütig.
„Hier,“ sprach er und warf Grimmar ein Kupfer zu, dass vom Tisch rollte, sodass sich Grimmar danach unter den Tisch bücken musste. „Für deine wahre Geschichte, Rabe.“
Als Grimmar siegreich strahlend mit dem Kupfer in der Hand unter dem Tisch hervor kam und etwas darauf erwidern wollte, war der schwarz gekleidete Fremde jedoch verschwunden.