Leichter Regen fiel auf die Wiese herunter und das Geräusch von Geowins Segen auf den Blättern des Nevens war das einzige Geräusch, dass die festliche Stille auf der Lichtung unterbrach.
Mehr als ein Dutzend Menschen hatten sich auf der Lichtung versammelt. Kämpfer waren unter ihnen, Heiler, Druiden und Ovaten. Doch eines hatten sie alle gemeinsam. Sie alle waren keltischen Blutes. Und in wenigen Augenblicken würden sie Teil einer Allianz sein, die es so noch nie gegeben hatte. Weder in den Südlanden, aus denen die Anwesenden stammten, noch in den Mittellanden, in denen sie sich gerade aufhielten.
Kaela hielt den Vertrag in ihrer Hand fest umklammert. Das Dokument mit den vier Unterschriften der Hagriks und Hagrikkas Hag Rauriks hatte sie auf der gesamten Reise gehütet wie ihren Augapfel. Einzig Grimmar, ihr treuer Scribor und enger Freund, wusste von der kostbaren Fracht. Ein solch wichtiges Dokument auf eine Reise in ein von Bürgerkrieg zerrüttetes Land mitzuführen, war eine riskante Entscheidung gewesen, die von den Twalibi in letzter Sekunde getroffen worden war. Sie war gegen das Risiko abgewogen worden, dass die Spinnenfee mit einer Übergabe des kostbaren Vertrages in den jeweiligen Ländern rechnen und diese mit allen Mitteln verhindern würde. Und als sich die Hinweise verdichteten, dass sowohl Kämpfer aus Eilean Úr als auch aus Thalisien in Nevenburg anwesend sein würden, wählten die Twailibi diesen ungewöhnlichen aber genauso unvorhersehbaren Weg der Vertragsübergabe.
Kaela erinnerte sich genau an den Moment, als ihr der Vertrag und die drei Seiten mit den Unterschriften von Aska Grimmzahn übergeben wurde. Nicht in der großen Halle, die sonst für derartige Ereignisse gewählt wurde, sondern in einer Kammer eines Gasthofes am Stadtrand von Raurikor. Sie erinnerte sich an die warnenden Worte Askas, niemandem zu vertrauen, egal ob keltischen oder nicht-keltischen Blutes. "Kaela, Ihr seid eine Grimmzahn. Ihr seid Teil meines Rudels. Und mein Rudel versagt nicht."
Die helle Stimme Lucias, der Druidin von Eilean Úr durchbrach die Stille der Lichtung. Cernunnos anrufend eröffnete sie die Zeremonie, die Hände in mit den Handflächen nach oben von sich gestreckt. Auf diese Eröffnung folgte Grimmar. Diesem wurde in Ermangelung eines raurikanischen Druiden die Ehre zuteil, die Götter Hag Rauriks anzurufen. Mit leicht zittriger Stimme bat er Cernunnos, Rauros und die Götter der vier Clans um ihren Segen. Schließlich schloss der ganz in gelb gekleidete Findelbar-Ovate den rituellen Teil der Vertragsübergabe. In einer langen Rede rief er die zahlreichen Götter des thalisischen Pantheons an, darunter auch Gewoin, die Göttin des Regens, deren Segen gerade auf die Anwesenden herabfiel.
Nachdem der Segen der Götter für die Vertragsübergabe erbeten worden war, verlas Ferrn, die Anführerin der anwesenden Thalisier, mit fester Stimme den ersten Teil der Vertrages, der die Details zum Wesen der keltischen Allianz enthielt. Dann war es an Kaela, den zweiten Teil zu verlesen und so den Anwesenden mitzuteilen, welche Kraft und welche Verpflichtungen für die Mitglieder aus der keltischen Allianz erwuchsen. Eine kurze Stille trat ein, als Kaela geendet hatte, fast so, als lauschten die Anwesenden auf die Meinung ihrer Götter zu diesem historischen Bündnis. Dann wurden die Seiten mit den Unterschriften ausgetauscht und einige Augenblicke später hielt Kaela zwei neue Seiten Pergament in den Händen, auf denen die Unterschriften der Herrscher von Eilean Úr und Thalisien prangten.
Der Findelbar-Ovate beugte sich nun hinunter und nahm eine silberne, rituelle Schale auf, die in der Mitte eines Dreiecks stand. Dieses war aus dem Wappen Eilean Úrs, dem Schild Thalisiens und dem Wereipa Hag Rauriks, dem geknüpften, blau-weißen Band mit dem Rauros-Löwen, gebildet worden. Feierlich nahmen alle Anwesenden einen Schluck aus der Schale, die mit beiden Händen empfangen und mit beiden Händen an den nächsten weitergereicht wurde. Als schließlich dem letzten der Anwesenden der brennende Whiskey die Kehle hinunter rannte, ward das Bündis besiegelt. Ein kurzer Jubel brach aus und der Klang des thalisischen Ritualshorns hallte Kaela in den Ohren, als sie die Lichtung verließ.
Zurück im Lager verschwand Kaela sogleich unbemerkt in ihrem Zelt und verstaute den Vertrag im selben Versteck, in dem sie sie auch schon auf der Hinreise verwahrt hatte. Deutlich spürte sie den Druck der Verantwortung, der auf ihr lastete und noch bis zu ihrer Rückkehr nach Raurikor auf ihr lasten würde. "Ich bin Teil deines Rudels, ich werde nicht versagen", schoss es Kaela durch den Kopf. Dann verließ sie ihr Zelt, um mit ihren keltischen Brüdern und Schwestern das neu-geschlossene Bündnis zu feiern.